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von Darna von Eibenau » Samstag 7. März 2015, 00:11
Übungskampf.
"Whushhhh!"
Übungskampf.
"Whushhhh!"
Mit jedem von Grinsis Schlägen, die dumpf die Luft zerteilten, musste sie ihre Nerven beruhigen. Schon nach vier Schlägen hasste sie diese Axt und hasste vor allem die Höhe, auf der er zuschlug. Allein die Regelmäßigkeit der Schläge gab ihr die Möglichkeit, etwas besser als sonst die aufkeimende Panik noch in eisernem Griff zu behalten. Es war zu berechenbar. Gleichzeitig schrillten andere Alarmglocken, dass genau das ein sehr alter Trick war, um dann in geeignetem Moment eben völlig unerwartet einen anderen Rythmus einzuschlagen und dann den Gegner zu überrumpeln.
Auch, dass Eisenfaust und die anderen ihnen rein beobachtend folgten, beruhigte sie wie sie es vom Kopf bis in die Zehen unter Anspannung setzte. Die letzten Zweifel verflogen, dass das hier ein "Beweise, was du kannst!"-Kampf war, und der musste nicht einmal beendet sein, wenn das erste Mal ein kampfentscheidender Schlag erfolgte... der würde dann nur einfach registriert und weiter gefochten. Bis einer aufgab. Oder der Lehrer genug gesehen hatte. Eher ersteres.
Neben der Knappin, an deren Bewegungen und Manövern bis in den Wald hinein nichts zu bemängeln war, die aber auch sichtlich sehr schnell bis in die Haarspitzen mit Adrenalin vollgepumpt war, wirkte der Henker ihres Vertrauens regelrecht gelassen. Die scheinbare Gleichgültigkeit, mit der er das für ihn ungünstigere Terrain hinnahm, bestätigte nur Darnas Verdacht, dass sie es auch mit einem erfahrenen Gegner zu tun hatte.
Hab keine Angst, ihm weh zu tun. Gib alles, was du hast!
Die Außenstehenden mochten es wohlwollend in ihren Beurteilungen verbuchen, dass die Knappin eine bemerkenswerte Geschwindigkeit und Sicherheit darin bewies, die Gegebenheiten ihrer Umgebung sauber zu erfassen. Obwohl sie sich auf unbekanntem Boden meistens rückwärts bewegte, stolperte sie nicht und wich den meisten Hindernissen frühzeitig aus, ohne ihren Gegner aus den Augen zu lassen. Dieser ließ es wohl auch teils mit sich machen, doch steuerte klar die Knappin die Richtung des Kampfes, und nicht der Axtschwinger.
Trotzdem kam ihr Grinsi näher.
Nerven behalten. Selbst dieser Verlauf wirkte von ihm beabsichtigt und fast wie aus dem Schulbuch - Darna hielt unerwartete Manöver von ihm für immer wahrscheinlicher und bemühte sich, auch ihr Tempo entsprechend noch etwas zu erhöhen, als sie den Ast registrierte.
Verlockend.
Wird er auch gesehen haben. Ältester Trick der Welt.
Du kannst ihn trotzdem benutzen.
Sie halten dich für zu ehrenhaft...
Es hatte alles im Leben seine Vor- und Nachteile. Obwohl ihre Gedanken sich überschlugen und schnell abgehakt waren, waren es doch Gedanken - Überlegungen, die sie ein paar Schritte lang einen Tick weniger aufmerksam wirken ließen als bisher.
"Whushhhh!"
Die Axt zog wieder an ihr vorbei und sie machte regelrecht einen Satz nach hinten, als hätte dieser Schlag, und vor allem die fehlende Distanz zu ihr, sie überrascht. Wie schon zwischen den Zelten wirkte ihr Zurückweichen wieder hastig. Die Riposte, die sie dabei schlug, war alles, außer gefährlich - und als hätte sie es geahnt, nutzte Grinsi genau diesen Moment, um sein Tempo sprunghaft zu erhöhen und sie selber gegen diesen Ast zu drängen; dünn war er nicht, und hätte sie ihn zu einem falschen Zeitpunkt im Rücken, würde sie einfach ausgebremst und hätte seine Axt in Brustkorb oder Hals.
In diesen paar Lidschlägen ging alles verdammt schnell - es waren diese seltsamen Momente, die keine zwei Herzschläge dauerten, aber einem selber in alle Einzelheiten zerlegt unheimlich lang vorkamen:
Darna spürte den ersten leichten Druck und wusste, sie hatte das Holz nun im Rücken. Grinsi legte es mit einem Vorstürmen darauf an, ihr den Ast zur unerwarteten Barriere zu machen, doch da ihr ja bereits durchaus klar war, was sie hier nun behinderte, hatte sie keine Skrupel, sich fließend mit ziemlich viel Gewicht in den Ast zu legen und hörte, wie er sich knarzend bog. Ihr versteinerter Blick war auf Grinsis Miene und die Bewegungen seiner Schultern fixiert.
Er merkte es. Er holte zwar aus, aber zog bereits seinen Oberkörper zurück, um von dem sicher gleich heranschnellenden Ast nicht getroffen zu werden. Gleichzeitig begann seine Axt einen schrägen Bogen von oben nach unten zu führen, statt wie bisher fast immer nur stur waagerecht, um die Knappin aus seiner Sicht weiter links zu empfangen - denn die wahrscheinlichste von ihr zu erwartende Bewegung war, dass sie dem dünner werdenden Ast zur Seite folgte, um ihn vorschnellen zu lassen. Wäre sie hingegen so dumm, sich nach unten zu ducken, um den Weg für die Holzpeitsche frei zu machen, hätte sie seine Axt gleich im Gesicht.
Da kam aber kein Ast. Als wäre sie regelrecht höflich, hielt die Knappin das Holz zurück, für einen winzigen Moment trafen sich ihre Blicke, und der Knappin stolze Haltung schien stumm zu sagen: Ich mache sowas nicht!
Grinsi hatte seinen Oberkörper weit genug nach hinten gebracht, um von dem Ast kaum behelligt zu werden. Allerdings schlug seine Axt zwangsläufig nun auch völlig sinnlos gegen den Boden. Hätte Darna den Winkel registriert und den Umstand, dass sich nicht die Axtschneide in die Erde fraß, hätte sie vielleicht beruhigend registriert, dass sie "nur" von der Breitseite erwischt worden wäre.
Der Krieger entspannte sich eine Spur - es schien keine Gefahr zu drohen und die Knappin schien tatsächlich erst nett beiseite treten zu wollen, um dann abseits des Astes weiterkämpfen zu wollen? Mit verengten Augen setzte er an, seine Axt neu zu heben, um ihr zu zeigen, was er von dieser Höflichtuerei hielt...
"Whushhhh!" - die Blätter rauschten, als der Ast plötzlich seine Spannung nach vorne entlud. Über der ungefährlichen Axt hatte die Knappin sich nun doch nach unten geduckt, mehr noch: während er die Waffe neu zu sich ziehen musste und in der leichten Überraschung reflexartig den linken Arm hochriss, um nicht dünnere Zweige und umherwirbelnde Blätter ins Gesicht zu kriegen, hechtete Darna an seiner linken Seite vorbei und gelangte für einen kurzen Moment hinter ihn.
In diesem Augenblick bewies das Rapier einen seiner großen Vorteile: es war schnell aus dem Weg gebracht und schnell wieder auf Kurs - viel schneller als eine zweihändige Axt es je gekonnt hätte. Und auch, wenn es nicht so elegant und grazil wie bei einer geschmeidigen schmalen Fechterin aussehen mochte, das gefahrlose Abrollen über ihre Klinge beherrschte Darna im Schlaf. Was sie nicht bedacht hatte, war, dass ihr Gegner seine Waffe bei einigen Schlägen auch einhändig benutzen konnte, und so fühlte sie aufkeimendes Entsetzen, als die Axt in seiner Linken einfach zurück gerissen in einer gewaltigen Sichelbewegung eher als erwartet um Grinsi herum geschwungen kam. Den Göttern sei dank hatte sie sich nicht aufgerichtet! Sie spürte, wie der Stiel der von ihr unterlaufenen Axt über ihren Scheitel zog, und verbissen presste sie die Zähne zusammen, während ihr ein kaltes Grausen über den ganzen Rücken zog.
Grinsi musste indes registrieren, dass die Klinge ihres Rapiers direkt an seiner linken Seite ruhte, aus der hockenden Haltung der Knappin heraus ihn von schräg unten sauber aufgespießt hätte.
Ein kurzes Brummen erklang von ihm. Einer von Eisenfausts Männern raunte, doch das hörte sie nicht. Kein Befehl erklang, und so geschah, was sie befürchtet hatte: Grinsi ließ ihr gerade genug Zeit, um aufzustehen, dann begann der "Tanz" von Neuem. Und diesmal keine schulbuchartigen regelmäßigen Schwünge von ihm - jetzt kämpfte er. Immernoch ließ der "Henker" dabei keine großen Emotionen dabei erkennen, immernoch schien er das Ganze trotz der Härte sehr sachlich anzugehen... es war Darna, deren Schutzwall mehr und mehr bröckelte.
Ein Schlagabtausch folgte, bei dem auch die Knappin sich nicht länger zurück hielt und nun ernsthaft in die Offensive ging. Mehrere Attacken konnte man von ihr beobachten, viele Standard und sauber wie aus dem Bilderbuch, aber auch einige Hiebe und Stiche, die von Leidenschaft und Können sprachen. Sie trennte sich nicht von ihrem Faustschild, denn zwei mal brauchte sie den, um sowohl Grinsi als auch seine Waffe auf Distanz zu halten. Dabei begriff sie fast zu spät, dass sie sich bei ihrem ebenso gerüsteten Gegenüber wirklich nicht zurück zu nehmen brauchte - einmal packte er sie trotz Blockschlag, riss sie herum und sie landete mit dem Rücken an einem Baum. Obwohl ihr Sterne vor den Augen zu tanzen drohten, ging sie wenigstens sofort in die Hocke und hörte, wie die Axt über ihr dumpf gegen den Stamm knallte.
Will er mir den Schädel zerschmettern, verdammt?!
Sie wich nach hinten um den Baum herum aus und stoppte abrupt ihre Richtung, als Grinsi sich für eine Seite entscheiden musste, auf der er sie empfangen wollte. Wieder schaffte sie es, den Schwung seiner Axt ins Leere laufen zu lassen und setzte einen Stich, der seinen rechten Unterarm durchbohrt hätte.
Ihre Mimik war inzwischen eine verbissene Maske - öfters sogar mit gebleckten Zähnen -, die "wütender Köter"-Fresse, die Gernot so oft gesehen hatte und das ihr ein mal ein ernsthaftes Gespräch sowohl mit Meister Roderich als auch mit Bruder Talarion eingebracht hatte, in denen sie beiden glaubhaft versichern musste, dass es nicht die blanke Mordlust innehatte, die man leicht daraus ablesen mochte. "Es tut mir leid, Herr, aber ich achte beim Kämpfen nicht darauf, ob ich nett genug aussehe", hatte sie ein wenig mürrisch bekundet und hilflos erklärt: "Ich bin auf den Kampf konzentriert, das ist alles. Und selbst, wenn es ein Übungskampf ist, ist es für mich 'Ernst', aber deswegen will ich noch lange niemanden töten!"
Ob Grinsi das auch so einschätzte?
Neben diesem Verbissenen gesellte sich aber noch etwas dazu: mehr und mehr Panik, die sie immer weniger zurückhalten konnte. Jeder erfahrene Kämpfer würde die Art der Bewegungen wieder erkennen, die immer hektischer wurden, immer ineffizienter, immer unkontrollierter.
Irgendwann schätzte sie die kommende Richtung ihres Gegners völlig falsch ein, und als hätte er es erwartet, stieß Grinsi sie mit voller Wucht seines Armes schmerzhaft zurück und sie landete mit dem Rücken auf dem Boden. Mit von Entsetzen geweiteten Augen sah sie die Klinge der Axt von oben auf sich herunter kommen und hinterher wusste sie nicht einmal mehr, wie sie es geschafft hatte, sich noch zur Seite zu rollen, statt panikgelähmt dort liegen zu bleiben.
"Genug!", brüllte sie auf den Knien zusammengekrümmt und ließ ihre Waffe los, hob zitternd die rechte Hand. "Ich gebe auf!" - die Worte hektisch, die Stimme leicht schrill. Sie war längst kalkweiß und neben dem Schweiß der Anstrengung war es vor allem Angstschweiß, der ihre Haare wirr an den Schläfen kleben ließ.
Würde der "Henker ihres Vertrauens" seinem Eindruck gerade gerecht werden, er hätte vor sich das fast perfekte Opfer kauern. Nach kampfentscheidenden Treffern stand es sogar drei zu zwei für sie, doch was brachte ihr das? Sie konnte nicht mehr. Und womöglich hatte Grinsi sie noch geschont...
Wenn sie sie nach Hause schickten, weil sie sie nicht gebrauchen konnten, wäre das bei ausgerechnet solch einem Auftrag so schlimm? Aber wäre es nicht ein Scheitern ausgerechnet in dem Moment, wo ihr König sie das erste Mal zum Dienst rief? Zu solchen Überlegungen war sie in diesen Sekunden, wo sie auf die Reaktion der anderen wartete, noch nicht einmal fähig. Das Blut rauschte in ihren Ohren, trotzdem fühlte sich alles taub an. Sie zwang sich, nicht hörbar zu keuchen, auch wenn ihr Atem raste und viel wichtiger: nicht loszuschluchzen. Der Matsch und das tote Laub, auf das sie gerade herunter starrte, machten es nicht einfacher...
"Gebührt dem Sieger nicht, dass man sich vor ihm verneigt?"
Sie hörte wieder Gernot... diese hohntriefende Stimme. Es war, als wäre er es, der neben ihr stand. Sie presste die Zähne noch fester zusammen und versuchte recht erfolglos, diesen Eindruck aus ihren Gedanken zu jagen. Ihre Rechte ballte sich zur Faust.