Daraks Bewusstsein schwamm in einem Meer aus Ohnmacht. Die Wellen peitschten ihn hin und her, spülten ihn dabei immer wieder in die Nähe des Strandes, der sein Erwachen bedeutet hätte. Doch jedes Mal, wenn er glaubte, gleich nach dem rettenden Ufer greifen zu können, entglitt der Sand seinen Fingern und er wurde zurück in seine traumlose, schwarze Welt gezogen. Einzig einen kurzen Dialog schnappte er auf.
".... soll wirklich der Befreier von Sarma sein? Sieht ja mickrig aus!"
"Er ist bewusstlos. Du würdest auch nicht weniger jämmerlich ausschauen in dem Zustand."
"Pha! Wieder einmal achtest du nicht auf die Details. Schau dir sein Bein an. Das Knie wurde zertrümmert. Und dafür erntet diese Rasverath nun so viel Ruhm und Ehre? Weil er einen Krüppel mit nach Hause gebracht hat?"
"Es ist ein moralischer Sieg. Unsere Brüder und Schwestern kämpfen noch immer an der Front. Die Sarmaer werden ein zweites Mal untergehen, nun, da sie ihren Befreier nicht mehr haben."
"Schändlich genug, dass sie unvorsichtig wurden und Sarma schon einmal an diese sonnengebräunten Bastarde zurückgegangen ist!"
"Lern daraus! Wir werden beim Befreier von Sarma nicht unvorsichtig sein. Und jetzt geh ein bisschen schneller. Er mag ein Krüppel sein, aber er ist immer noch ein verdammt schwerer Brocken."
War es ein Gespräch? War es Gesang? Die Art, wie die Wellen sich miteinander unterhielten, war nicht gänzlich unvertraut und doch würde es Darak unmöglich sein, in seinem Zuzstand mehr darin zu erkennen als Geräusche, die ihn im Traum begleiteten. Das Meer holte ihn wieder ein. Darak konnte das Schaukeln spüren. Leider wollten die Wellen sich nicht ganz einem gleichmäßigen Rhythmus hingeben. Immer wieder polterte er in den Fluten umher. Hinzu kam das Rasseln von Ketten. Trugen Seemöwen Metallschmuck? Das Meer lullte ihn erneut ein.
Zeit verging, in der Darak nicht Herr seiner Sinne war. Wie lang er ohnmächtig gewesen war, ließ sich von seiner Seite aus nicht sagen. Fest stand, dass es lange genug gedauert haben musste, dass man seinen nackten Körper hatte aus der Obsidiankammer holen lassen und ihn irgendwohin transportiert hatte. Nach wie vor zierte ihn nicht der kleinste Fetzen an Kleidung. Er spürte, dass sein Körper etwas fröstelte, aber nicht so sehr, dass es ihn endlich in den Wachzustand getrieben hätte. Hin und wieder erreichte ihn eine kuschelige Wärme, die wie die heißen Dünenwinde der Wüste Sar über ihn hinweg zogen. Sie streichelten ihn. Sie flüsterten gedämpft.
Nein, halt! Das war kein Wind. Er hörte wirklich Stimmen und je mehr er sich wieder auf seine Sinne konzentrierte, desto deutlicher konnte er nicht nur Geräusche, sondern auch andere Gegebenheiten ausmachen. Zunächst einmal nahm er natürlich die Geräuschkulisse wahr. Gespräche wurden geführt und sie waren nicht nur aufgrund seiner einseitigen Beinahe-Taubheit gedämpft, nein. Es wurde leise gesprochen, getuschelt und gelegentlich gelacht. Hier und da räusperte sich jemand. Darak konnte auch die feinen Klänge von Musik vernehmen. Jemand zupfte an Saiten. Eine Harfe? Und eine Geige, aber sie fidelte nichts Munteres. Die Melodie besaß eine düstere Schwere. Gleichsames Gewicht hing auch in der Luft. Sein zweiter Sinn - seine Nase - meldete sich. Darak konnte brennende Kohle riechen und das in unmittelbarer Nähe. Auf seinen Reisen als Sklavenjäger hatte auch er sich immer wieder an nächtlich entfachten Kohlebecken gewärmt. Die Dämpfe waren ihm vertraut, ebenso wie das Aroma von Wein, das sich mit ihnen mischte. Ein schwerer Wein musste es sein, vermutlich rot. Wo immer er war, das Ambiente legte auf Gewichtigkeit. Ein ernste Sache? Na sicher, er befand sich als Gefangener in Morgeria! Natürlich trank man hier keinen lieblich leichten Apfelwein und wenn zur Musik noch gesungen wurde, könnte es unmöglich ein fröhlicher Reigen sein. Klagelieder hätten gepasst, aber niemand sang.
Stattdessen drang endlich eine lautere Stimme aus dem leisen Plauschen heraus. "Du da, Sklave! Es wird Zeit, nimm den Samt ab. Die Feierlichkeiten gehen gleich los.
"J-jawohl, Herr..."
Es raschelte. Dann drückte sich Helligkeit als rötliches Glühen durch Daraks Augenlider. Die veränderten Lichtverhältnisse sorgten dafür, dass er nun gänzlich seiner Ohnmacht entkam. Und sobald der Luthrokar seine Augen öffnen würde, offenbarte sich ihm der Einblick auf einen morgerianischen Prunkball in all seiner düsteren Perfektion.
Er befand sich Zentrum eines gewaltigen Saals mit gewölbtem Kuppeldach aus Stein, in den ein beeindruckender Kronleuchter aufgehängt war. Zahllose, dicke schwarze Kerzen tropften ihr heißes Wachs auf das ebenso schwarze Eisen des handwerklichen Meisterstücks der Schmiedekunst und Eisengießerei, welches genau über Daraks Kopf baumelte. Nun, nicht ganz. Zwischen ihm und dem Kronleuchter befand sich noch der Käfig, in dem der Mann steckte. Ebenfalls aus schwarzem Eisen, aber mit reichlich güldenen Verzierungen sah er auf den ersten Blick nicht stabil aus, sondern diente eher dazu, dem Auge zu schmeicheln. Doch der Schein trübte. Mehrere Schlösser erschwerten es selbst dem gewieftesten Knacker, diese in Windeseile zu öffnen. Die Gitterstangen des Käfigs waren zudem so dick, dass auch ein Troll Schwierigkeiten hätte, sie aufzustämmen. Wie sollte Darak es dann schaffen? Auch war er bei weitem nicht dürr genug, sich dazwischen hindurch zu drängen. Ein abgemagertes Kind hätte es vielleicht geschafft. Bei Darak würden aber nur Arme oder Beine durch den Spalt passen.
Sein Käfig befand sich auf einem quadratischen Steinsockel inmitten des Saales. In jeder Ecke des Sockels fand sich ein Kohlebecken vor, dessen Schale aus jeweils zwei steinernen Fledermäusen mit aufgerissenen Mäulern bestanden. Sie berührten sich an den Spitzen ihrer Schwingen und der perfide Künstler hatte funkelnde Smaragde in ihre Augen eingefasst. Schräg versetzt und somit das Quadrat des Sockels nur erweiternd ragten vier Säulen bis zur Decke empor, um mehreren Bahnen purpurnen Samtschleiern als Befestigungspfosten zu dienen. Die schweren Deckenbehänge führten bis an die Wände des Saales heran. Auch jene waren aus Stein. Purpurne Vorhänge mit dicken silbernen Kordeln und Quasten verteilten sich in gleichmäßigen Abständen an den Wänden entlang. Vermutlich verbargen sie deckenhohe Fenster, aber der Stoff hing davor und ließ kein Licht in den Saal hinein. Darak konnte somit nicht einmal sagen, ob es Tag oder Nacht war. Der Saal selbst mochte mit vielen Kandelabern und Wandkerzen, den Kohlebecken und nicht zuletzt dem riesigen Deckenleuchter genug erhellt werden. Trotz allem hinterließ er eine finstere Atmosphäre im Herzen.
Das mocht aber auch an den Versammelten liegen. Dunkelelfen beider Geschlechter, entweder in feinsten aber dunklen Samtanzügen, ausschweifenden Ballkleidern mit reichlich Edelsteinen verziert oder aber schwer gerüstete, düstere Schattenkrieger mit Fledermaushelmen verteilten sich im Raum. Die Damen und Herren erinnerten an eine morbid unheimliche Version des Pelgarer Adels. Prachtvoll gekleidet, faszinierend geschminkt, alles in allem aber wie Advokaten des dunklen Herrschers persönlich. Die Frauen unter den Elfen hatten ihre Luppen schwarz oder blutrot gefärbt, purpurnes Rouge auf die Wangen aufgetragen und die glühenden Augen durch dicke, schwarze Linien noch mehr zur Geltung gebracht. Sie hielten schwarz gefiederte Masken an langen Stäben fächelten sich Luft mit ihren Handfächern zu, bei deren Gestaltung der Fantasie kaum Grenzen gesetzt worden waren. Darak konnte Exemplare erkennen, die silbern aufblitzende Spitzen an den Enden besaßen und somit sicherlich auch als Waffe dienen konnten. Auf dem Papier waren schwarze Rosen gemalt worden. Es gab aber auch gänzlich schwarze Fächer, wieder in Form einer Fledermaus, so dass es aussah, als winkte die tragende Elfenhand dort mit einer ledrigen Schwinge.
Die Männer trugen ihre Masken nicht an Stäben, sondern hatten sie sich direkt auf die Nasen gesetzt. Bizarre Fratzen rangen um die Aufmerksamkeit der Frauen zusammen mit goldenen, aber nahezu emotionslos gestalteten Gesichtern.
Es war ein Maskenball des Schreckens ... und Darak offenbar Mittelpunkt und Anschauungsobjekt. Immer wieder traten Paare oder Grüppchen der maskierten Elfen an den Käfig heran. Die Grenzen des Steinsockels sorgten für den nötigen Abstand. Keiner der Dunkelelfen kam dem Gefangenen auch nur zu nahe - abgesehen von einem doch eher blässlichen Elfen an der Seite des Käfigs. Dieser hockte in sich zusammengekauert da und wirkte nicht wie die übrigen Elfen. Seine Haut war gräulich mit einem leicht violetten Schimmer, wenn das Licht perfekt darauf traf. Sein Haar hing ihm silbrig über die Stirn, solang er den Kopf gesenkt hielt. Er trugt lediglich eine violett-graue Tunika mit silbernen Verzierungen, aber keinesfalls so pompös, um auch nur mit einem der anderen Elfen mitzuhalten. Vor sich auf dem Boden war ein großer Samtstoff zusammengefaltet. Dieser musste vorher den Käfig abgedeckt haben. Ganz klar, der kauernde Elf musste ein Diener oder Sklave sein. Ihn beachteten die übrigen Elfen auch überhaupt nicht. Sie zeigten sich mehr an Darak interessiert. Mit Neugier, Faszination und Verachtung starrten sie ihm entgegen. Einige Frauen rümpften die gepuderten Nasen oder stießen einen Ton der Abscheu aus, ehe sie am Arm eines galanten Begleiters wieder fortgeführt wurden.
In Daraks Rücken und zu beiden Seiten einer riesigen, schwarzen Flügeltür spielten Musikanten auf. Tatsächlich saßen dort weitere Elfen an einer Harfe, vor einer Trommel, einem schwarzen Konzertflügel und an zwei Geigen. Auch diese Elfen wirkten eher gräulich bis violett. Keiner von ihnen schaute in den Saal hinein. Sie spielten ihre düsteren Reigen, perfekt einstudiert. Über allem hielt eine Art Dirigentin mit strengem Blick Aufsicht. Außerdem besaß sie eine kleine Reitgerte und schlug damit sogar zu, als einer der Violinisten sich verspielte.
In welches faldorgefällige Schreckensszenario war der Befreier von Sarma nun wieder hinein geraten?!